Verglichen mit anderen Religionsgemeinschaften zeichnete sich die reformierte Kirche Kanton Zürich bisher durch Freiheit aus: Glauben als innere Angelegenheit, Gott und seine Kirche sind nicht beliebig, aber breit. Entsprechend besuchte der reformierte Pfarrer einsame und kranke Menschen, taufte, konfirmierte, traute und beerdigte und seelsorgte auch jene, die nicht zur Kirche gingen und keinen Religionsunterricht besuchten. Ist nicht gerade dieses menschenfreundliche Handeln Ausdruck von Nächstenliebe – dem Kern des christlichen Glaubens? Jedenfalls zahlt man dafür Kirchensteuern.
Das religionspädagogische Konzept der Reformierten (Zürcher Unterländer vom 23. August) erzwingt, dass Religion einen grösseren Lebensanteil als früher einnehmen muss, damit ein Kind überhaupt in die Kirche aufgenommen (konfirmiert) wird.
Seltene Lektionen biblischer Geschichte, eingebettet in den Schulstundenplan, ein Jahr lang Konfirmationsunterricht und zwölf Mal Jugendgottesdienst pro Oberstufenjahr reichten für die Konfirmation der meisten heutigen Reformierten. 2014 sind die zwingenden Voraussetzungen dazu: Ein bis zwei Lektionen Religion und Kultur pro Woche und zusätzlich 192 Lektionen kirchlicher Unterricht ab der 2. Klasse. Besucht ein Kind noch freiwilligen den Kolibri (= ca. frühere Sonntagsschule) kommen vier Wochenstunden Religion zusammen. Zuviel.
Das religionspädagogische Konzept nimmt weder auf lange Schulmorgen noch auf freie Mittwochnachmittage Rücksicht. Im unteren Rafzerfeld müssen reformierte Unterstufenschüler eine Lektion vor dem morgendlichen Schulbeginn antreten und erhalten lange Fünf-Lektionen-Morgen, was die Volksschule für dieses Alter klar nicht vorsieht! Die Kirche nistet sich in die wichtigsten „freien Zeiten“ neben dem Stundenplan.
Gleichzeitig werden Besuche alter und einsamer Menschen, die früher selbstverständlich der Pfarrer wahrgenommen hat, an einen Verein mit einer separat entschädigten Koordinatorin delegiert.
Zu dick einnisten im Leben der Kleinen, fehlende Kapazität zur Betreuung der Älteren und dazu die höhnische Empfehlung einiger Mitglieder der einst so toleranten Kirche (Zürcher Unterländer, 23.8.14): „Wer nicht zufrieden ist, kann ja austreten“. Das sind ungesunde Entwicklungen, die hoffentlich korrigiert werden!
Matthias Hauser, Kantonsrat, Hüntwangen