Wo sind all die Blumen hin?
Zur Abstimmung vom 10. Juni 2001 – Gedanken als Oberleutnant der Infanterie
«Where have all the flowers gone?» zeigt, um was es beim Krieg geht: Familien
und Freunde werden zurückgelassen, junge Frauen und Männer werden sterben –
tausend Hoffnungen gehen kaputt. Es ist sinnlos, dass junge Männer sich in
Blumen verwandeln.
Wo sind all die Blumen hin?
Mädchen haben alle gepflückt.
Wann werden sie je lernen?
Wo sind all die Mädchen hin?
Sie haben Ehemänner genommen.
Wann werden sie je lernen?
Wo sind all die Männer hin?
Sie sind Soldaten geworden.
Wann werden sie je lernen?
Wo sind all die Soldaten hin?
Sie gingen ins Grab.
Wann werden sie je lernen?
Wo sind all die Gräber hin?
Blumen wuchsen darauf.
Wann werden sie je lernen?
Wo sind all die Blumen hin?
Mädchen haben alle gepflückt.
Wann werden sie je lernen?
….
Aus dem Song Where have all the Flowers gone, 1956, Text von Pete Seeger
Krieg begehen oder provozieren ist ein Verbrechen. Trotzdem kommen sie vor:
Völker werden unterdrückt (auch das ist Verbrechen) und wollen freier sein, ein
Land hat Rohstoffe, Reichtum und das Nachbarland nicht, in Verhandlungen sieht
eine Partei keinen anderen Ausweg mehr: Viele Gründe führen zum Wahnsinn.
Töten lernen, um es nie zu tun
Zum Krieg gehört noch etwas, es hat nichts mit missratener Politik zu tun,
ist aber genau so unfassbar. Es ist die Frage: Wie kann ich als Mensch einen
andere Menschen töten?
Wenn ich meinen Soldaten bei der Panzerabwehr den Feuerbefehl im Ernstfall
gebe, dann verglühen, bei lebendigem Leib, fünf jungen Männer oder Frauen in
einem Regen aus flüssigem Stahl und Kupfer im Innern ihres Panzers, einem Käfig.
Sie lassen Familien und Freunde zurück, mit ihnen verschwinden tausend
Hoffnungen. Es spielt keine Rolle, ob dort im Panzer die eigene Familie stürbe –
es sind Menschen – das Verbrechen ist genau so gross. Das Leid ist gleich. Als
Soldat trainiere ich, solches Leid zu tun und als Vorgesetzter bilde ich meine
Leute dazu aus. Warum?
Es gibt nur einen zulässigen Grund: Um es nie zu tun. Je glaubhafter wir
einen Panzer mitsamt Inhalt vernichten würden, desto kleiner wird die
Wahrscheinlichkeit, es tun zu müssen. Wenn die Panzerabwehr stark ist, wird ein
Gegner nicht mit Panzern angreifen. Noch ein anderes Bild zum gleichen Prinzip:
Wenn jemand weiss, dass ich den Revolver im Wildwest-Duell schneller ziehe und
sicher treffe, wird er mich nicht dazu auffordern.
Dieses Prinzip gilt für die ganze Armee: Je besser sie kämpft, desto
offensichtlicher wird, dass kein Ertrag das Leid eines Kriegs lohnt. So erhalten
wir Freiheit und Frieden.
Leid provozieren
Falls wir ein Wildwest-Duell aktiv provozieren, können wir die ganze
Strategie vergessen! Wir werden dann schiessen müssen. Der Grundsatz «Töten
lernen, um es nie zu tun» ist verletzt, denn wir sind ein Risiko eingegangen,
von dem wir von Anfang an wussten, dass es zum Töten hätte führen können.
Deshalb hat die Schweizer Armee bisher nur die Verteidigung der Freiheit in
der Schweiz geübt. Und die Schweiz hat versucht, alles zu unterlassen, was eine
Kriegspartei provoziert (Neutralität). Nie wurde bei uns mit Töten leichtfertig
umgegangen, alles diente der Verhinderung des Kriegs – und nur dafür leiste auch
ich überhaupt Militärdienst. Mit reinem Gewissen.
Gilt das gute Gewissen nur in der Schweiz?
2001 ist die Gefahr eines Kriegs in Westeuropa klein. Weshalb aber sollten
deswegen die getroffenen Überlegungen überflüssig werden? Gilt das gute Gewissen
nur, wenn in der Schweiz geschossen wird? Es scheint so, denn unser Bundesrat,
die Planer vom Bundesamt für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS)
und einige Politiker wollen, dass Soldaten aus der Schweiz in ausländischen
Kriegsgebieten anderen Armeen, die dort mit Gewalt für Ruhe sorgen, helfen. Und
Dinge erledigen, welche zivile Helferinnen und Helfer besser könnten
(Schulhäuser, Wasserversorgung bauen). Auch dann, wenn damit andere Staaten,
Völker, Menschen, Soldaten provoziert werden. Wäre es nicht ehrlicher, falls die
Armee in der momentanen Lage vom Verteidigungsauftrag alleine nicht ausgefüllt
ist, sie zu verkleinern? Und dafür junge Männer und Frauen einen anderen Dienst
verrichten zu lassen, zum Beispiel Hilfseinsätze als Zivilpersonen, auch im
Ausland?
Zivile Truppen provozieren nicht: Sie arbeiten nur dort, wo alle
Kriegsparteien einverstanden sind (diese Einverständnis kommt schneller, als bei
bewaffneten Truppen, deshalb wird zivile Hilfe auch meistens zuerst, manchmal
sogar unbehelligt inmitten eines Kampfgebietes, möglich). Beispiele dafür sind
das Rote Kreuz und das Katastrophenhilfekorps.
Krieg ist kein Abenteuer
Militär in ein anderes Land zu schicken, ist eine Aufforderung zum
Wildwest-Duell: Wir riskieren zu töten und getötet zu werden. Das ist
vertretbar: Selbst den freiwillgen Soldaten darf man dies nicht erlauben, denn
beim Krieg handelt sich nicht um ein Spiel oder Abenteuer. Es handelt sich, auch
bei Gegnern, um jungen Frauen und Männer, mit Familien, Freunden und tausend
Hoffnungen.
Nein zur Revision des Militärgesetzes am 10. Juni
Eidgenössische Volksabstimmung vom 10. Juni: Die Revision des Militärgesetzes
sieht vor, Schweizer Truppen im Ausland künftig zu bewaffnen.
Ich werde «Nein» stimmen. Denn Soldat-sein ist etwas Ernstes. Es heisst Töten
und getötet werden. Damit spielt man nicht im Ausland herum. In einer Armee, die
sich leichtfertig in Situationen von Wildwest-Duellen begibt, habe ich als
Soldat, der nur dient, um Krieg zu verhindern, nichts mehr verloren. Solche
Wildwest-Duelle sind leidvoll und brutal. Der Kreislauf im Lied von Pete Seeger
wird damit niemals unterbrochen. Aus Soldaten gibt es immer wieder Blumen und
umgekehrt. Völlig sinnlos. When will they ever learn?