Kommentar
Ein für den 15 Milliarden Kantonshaushalt unscheinbarer Nachtragskredit von 1.3 Millionen Franken in der Kinder- und Jugendhilfe kam in einer «Sammelvorlage» mit anderen Nachtragskrediten am Montag, 6. Juli, im Kantonsrat mit grosser Mehrheit durch.
Damit wurde eine Aufgabenverschiebung zwischen Kanton und Gemeinden mit dem Gewicht von 37 Stellen festgesetzt. 37 Stellen – Offenbar eine grosse Aufgabe, und Gemeindeautonomie ist eine zentrale politische Frage, Teil jedes Parteiprogramms. Wie kommt es, dass eine solche Sache als Nachtragskredit in einer Sammelvorlage, ohne ordentliche Gesetzgebung (Vorbereitung in den Kommissionen, mehrere Lesungen) abläuft? Vordergründig scheint es nur darum zu gehen, wer zuständig ist für die Treuhand des Kindsvermögens bei Beistandschaften. Tatsächlich aber offenbart sich mangelnde Redlichkeit des Amtes für Jugend und Berufsbildung in Gesetzesreformen. Ein Trauerspiel in mehreren Akten.
1. Akt:
2011 hat der Kantonsrat das Kinder- und Jugendhilfegesetz neu geschrieben und gegen den Willen der SVP beschlossen. Die Bezirksjugendkommissionen und Jugendsekretariate, mit welchen die Gemeinden ihre Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe kooperativ und für einen oder zwei Bezirke zentral erledigten, wurden durch die Jugendhilferegionen und die Kinder- und Jugendhilfezentren (KJZ) ersetzt und durch die kantonale Jugendhilfekommission (deren Präsidentin als kleines Dankeschön die in der Reform besonders eifrige SP-Kantonsrätin Karin Mäder-Zuberbühler wurde). Im Auftrag der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), die zu den Gemeinden gehört, übernehmen die KJZ (nun zum Kanton gehörend) fortan Mandate für Beistandschaften und zur Treuhand von Kindsvermögen. Die KJZ haben einfach die Aufgaben der alten Jugendsekretariate weitergeführt. Diese Details waren im Kantonsrat nie im Fokus: Er gab damals der Regierung die Kompetenz, sie in der Verordnung zu regeln.
2. Akt:
2017 wurde das Kinder- und Jugendheimgesetz neu geschrieben. Obwohl der Kanton alle Heimplätze nun zentral zuteilt und die Kosten zwischen sich und den Gemeinden teilt und diesen nach Einwohnerzahl verrechnet, versprach er schriftlich in der Weisung, dass das Ganze effizienter werde und daher kostenneutral sei. Keine neuen Stellen also. Davon gingen alle Parteien vor und in der Debatte im Kantonsrat aus, das Argument war x-fach zu hören und wurde der SVP die Ohren geschlagen, denn wir lehnten den Zentralismus ab. Wichtig für Akt 4: Diese Gesetzesanpassung brachte Veränderungen in drei Verordnungen: Kinder- und Jugendheimverordnung, Kinder- und Jugendhilfeverordnung und Volksschulverordnung.
3. Akt:
Im Budget 2020 und in den Finanzplänen 2021 und 2022 tauchen 17 neue Stellen zur Realisierung des Kinder- und Jugendheimgesetzes auf. Die Begründung: Der vorgestellte Effizienzgewinn wirke erst, wenn das Gesetz vollständig eingeführt sei. Das Versprechen der Kostenneutralität wird zum ersten Mal gebrochen.
4. Akt:
Es werden im Amt für Jugend- und Berufsberatung ausserhalb des Budgets 37 Stellen neu geschaffen. Dazu muss ein Nachtragskredit beantragt werden. Die 1.3 Millionen Franken sind lediglich der Anteil ab September für den Rest des Jahres 2020. Die Stellen bleiben erhalten werden im nächsten Budget mehr als doppelt so hoch zu Buche schlagen. Wie konnte das passieren?
Nun, Eine Rechnung des Amtes für Jugend und Berufsberatung ist nicht aufgegangen! Obwohl die KJZ seit Anbeginn im Auftrag der KESB Kindsvermögen verwalten, wollte man diese Aufgabe mit der Anpassung der Verordnung zum Kinder- und Jugendhilfegesetz definitiv den Gemeinden zuschreiben. Das hätte Ressourcen freigespielt. Doch die Gemeinden sagten in der Vernehmlassung nein. Somit muss das Versprechen der Kostenneutralität von 2017 zum zweiten Mal gebrochen werden. Offenbar hat man dem Kantonsrat Einsparungen auf dem Buckel der Gemeinden per Verordnung (Kinder- und Jugendhilfe), die dann an den anderen Bereich fliessen (Kinder- und Jugendheime), als kostenneutral verkauft.
Fazit:
Erstens: Wenn Aufgabenverschiebungen zwischen Kanton und Gemeinden finanziell 37 Stellen ausmachen, gehören sie ins Gesetz! Stattdessen wurde sie auf Verordnungsstufe geregelt, die Gemeinden haben mittels Vernehmlassung mitgeredet (nicht bestimmt), der Kantonsrat wurde nur im Eilverfahren eines Nachtragskredits fürs Portemonnaie gefragt. Wenn dieses Vorgehen Schule macht, katapultiert sich die höchste Instanz des Kantons ins Bedeutungslose.
Zweitens: Betreffend Kostenneutralität im Kinder- und Jugendheimgesetz wurde der Kantonsrat angelogen.
Warum geht das durch? Nun, Linke finden es gut, wenn die Kindsvermögens-Treuhand, die bereits zentral auf den KJZ ausgeführt wird, auch so geregelt wird. Und bei der FDP waren dem Hören-Sagen nach nicht die Finanz- und Bildungspolitiker, sondern die Co-Präsidentin der Sozialkonferenz Kanton Zürich und der Präsident des Gemeindepräsidentenverbandes Strippenzieher. Sie hielten den Ball tief, nicht dass am Schluss vor mehr Demokratie noch Kosten bei Gemeinden verursacht, und, bis es geklärt ist, die Unsicherheit erhöht würde. Kantonale Jugendhilfekommission, Sozialkonferenz, Verbandspräsidium und Amtschef: Kantonshaushalt und Demokratie sind Pfründehockern halt egal.