Rockmusik im Vinylzeitalter – Sonderausstellung im Dorfmuseum Hüntwangen – Vorwort zur Begleitbroschüre – Trailer – Öffnungszeiten jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr
Die Sonderausstellung mit Perlen aus der Schallplattensammlung von Hans Peter Millischer berührt uns. Mich wegen der Musik:
Eine blaue Tonbandkassette für Fr. 9.50 aus unserem Volg (es gab damals einen runden Kassettenständer bei der Kasse) war meine erste Investition von Taschengeld (Fr. 1.–/Woche) in einen Tonträger. Ich wollte sie unbedingt, denn unter Klassenkollegen (Unterstufe) gab es die Elvis-Fans (welche offenbar Platten ihrer Eltern hörten) und gegenüber die Shakin Stevens Fans, und bei mir zu Hause gab es Beethoven, Strauss-Walzer, Fischerchöre und Kinderlieder (die ich alle sehr mag) – doch ich musste wissen, um was es bei diesem Elvis ging. Auf der Kassette stand in grossen Buchstaben «Rock’n’roll Hits». Das erste Lied war «Tutti Frutti» von Little Richard und hat mich umgehauen. Pure Energie, Rhythmus, wilde Revolution, ein neuer Horizont. Seither wünsche ich, ich könnte so singen und Klavier spielen und ich bin überzeugt, eine Gesellschaft, die neue Horizonte erreichen will, braucht ein Quäntchen Rebellion. Besser mit Musik als mit Waffen!
Wie sich Musikstile weiter entwickelten, so passierte das auch mit uns: In der Mittelstufe stritten ACDC-Fans mit KISS-Fans (von beiden Bands gab es Kassetten in der Bibliothek) um den besseren Geschmack und in der Sek, Ende der 80ziger, löste Disco den Rock ab. Doch nicht immer: Im Konflager in der Jugendherberge Beinwil am See wurde lange nach Lichterlöschen nicht geschlafen. Mit der Jukebox im Keller hörten wir mitten in der Nacht Joan Jett’s «I love Rock’n’roll» in Dauerschleife, bis der Pfarrer angerast kam. Rebellion machte Spass!
Dann kam Techno und als im Gymi an einem Schulanlass Toni Vescoli spielte, blieben nur wenige aus Höflichkeit, seine Band, Les Sauterelles, deren Platten im Dorfmuseum ausgestellt sind, kannten nur die Lehrpersonen.
Die Sonderausstellung weckt dank den Bezügen zur Rockmusik persönliche Erinnerungen. Und Ehrfurcht vor dem wilden Anfang. Rock – hämmernd aus Blues, Jazz, Gospel, Country hervorgetreten vermischte sich, wie es sich für Rock gehört, hemmungslos, mit Musik aller Stilrichtungen und Kontinente: Flowerpower, Hard & Heavy, Disco, Pop, Elektro,… Wäre für Rock eine geordnete Struktur (es gibt sie) wichtig, so gäbe es heute weniger Vielfalt.
Kennen Sie Spotify? Das Zeitalter von Schallplatten und Tonband floss Ende der 80ziger ins CD-Jahrzehnt. Manch einer bluffte mit CD-Sammlungen, wie andere ein Jahrzehnt zuvor Platten anhäuften. Doch bereits nach der Jahrtausendwende war damit Schluss: Meine Musiksammlung besteht aus Computerdateien. Und auch das ist von gestern: Die Kids heute stellen Playlists zusammen, ohne Musik zu besitzen, sie wird live gestreamt, gehört und weg ist sie – Flüchtig und doch beliebig wiederholbar. Zum Beispiel mit dem weltgrössten Streamingdienst Spotify. So habe ich Les Sauterelles und Esquerita vor dem Schreiben dieses Vorwortes kennengelernt, ganz ohne Fr. 9.50 im Volg auszugeben.
Damit entgingen mir Qualitäten: Haptik und Ästhetik. Eine Platte in den Händen zu haben, heisst, ein Kunstwerk zu besitzen. Fotos, Grafiken und Designs der Plattenhüllen sind legendär, teilweise sogar die mit Songtexten bedruckte Innenhüllen. Platten selbst können verschiedene Farben haben. Im Gegensatz zu einem Computerfile kann man sie anschauen und sie ist schön.
Darum lohnt sich der Ausstellungsbesuch. Und darum kommt auch neue Musik heute wieder auf Vinyl heraus. Platten erleben ein Revival. Wir dürfen daran teilhaben. Herzlichen Dank an Hans Peter Millischer und die Museumskommission.
Matthias Hauser, Gemeindepräsident Hüntwangen