Unser System schrumpft zwischen Primarschule und Universität den Anteil der mathematisch ausgerichteten Auszubildenden von der Hälfte auf einen Viertel. Votum zum Postulat, welches im Kantonsrat die Einführung eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Profils im Untergymnasium forderte:
«Handgelenk-Mal-Pi» gehen wir in der Primarschule davon aus, dass ein Kind eher mathematisch oder eher sprachbegabt ist, etwa die eine Hälfte der Kinder hat gerne Sprachen, etwa die andere Hälfte lieber Rechnen.
An der Gymi-Prüfung zählt dann auch genau eine Sprache, nämlich Deutsch, und Mathematik. Halb-halb.
Was ich jedoch zur Zeit der Profilwahl im 2. Gymi-Jahr beobachte, wird von der Bildungsstatistik gestützt: Zwei Jahre nach der Primarschule stellen wir fest, dass doppelt so viele Schülerinnen und Schüler das neusprachliche Profil wählen, wie das Mathematisch-naturwissenschaftliche, 2 : 1 für die Sprachen. Zusammen mit dem altsprachlichen Profil verhält sich die Anzahl 3 : 1 für die Sprachen. Nicht mehr halb-halb, sondern Dreiviertel zu einem Viertel. Das wirtschaftlich-rechtliche und das musische Profil lasse ich bei dieser Betrachtung weg, in diesen sind Sprachen und Mathematik etwa gleich wichtig.
Es erstaunt nicht, dass bei dieser Profilwahl auch an den Hochschulen ein ähnliches Verhältnis resultiert. Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät an der Universität Zürich ist rund drei Mal kleiner als die Philosophische. Technik, Architektur/Bau und Chemie/Live Science machen zusammen nur rund einen Drittel der Studierenden der Zürcher Hochschulen für angewandte Wissenschaften aus und nur rund einen Sechstel aller Fachhochschulstudierenden überhaupt.
Dem Standort Zürich fehlen nicht Akademiker – einer von 50 Historiker findet eine Stelle als Geschichtslehrer – nein – dem Standort Zürich fehlen nur bestimmte Akademiker, nämlich Ingenieure und Naturwissenschaftler: In der Primarschule haben wir den Eindruck, etwa die Hälfte der Kinder sei im Rechnen begabter. Trotzdem wählen nur ein Viertel aller Gymnasiasten das mathematisch-naturwissenschaftliche Profil. Die Frage ist, was läuft da falsch?
Nun, ich kann es Ihnen sagen. Kaum ist die Eintrittsprüfung nach der Primarschule ins Gymnasium geschafft, werden vier Sprachen – Deutsch, Englisch, Französisch und Latein – selektionswirksam. Gegenüber Mathe und einem Potpurri aus Naturwissenschaften in einem einzelnen Fach zusammengefasst, genannt MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik).
Auf den Punkt gebracht: Wer gut ist in Sprachen, aber nicht in Mathematik, wird das Gymnasium bestehen. Wer gut ist in Mathematik, aber nicht in Sprachen, fliegt raus.
Und wer erst nach der Sekundarschule ins Gymnasium eintreten wird, bei dem wird schon an der Aufnahmeprüfung eine Sprache mehr geprüft.
Bei diesen Voraussetzungen ist es logisch, dass es aus der Menge der mathematisch begabten Primarschüler weniger Akademiker geben wird als aus der Menge der sprachlich Begabten.
Die Postulanten sehen diese Ungerechtigkeit und haben in einem ersten Wurf vorgeschlagen, ein mathematisches Profil am Untergymnasium zu schaffen. Immerhin ein Vorschlag, welcher die Diskussion eröffnete. Die Regierung will in einem minimalen Entgegenkommen diesen Vorschlag an einer einzigen Schule umsetzen.
Meine Damen und Herren – da bin ich nicht glücklich darüber, das Vorhaben ist zu punktuell, zu schmalbrüstig, zielt am Problem vorbei, wird der Tatsache nicht gerecht, dass unser System zwischen Primarschule und Universität den Anteil der mathematisch ausgerichteten Auszubildenden von der Hälfte auf einen Viertel schrumpft.
Richtig wäre, das Untergymnasium im ganzen Kanton zu reformieren und der Mathematik und den Naturwissenschaften darin einen ebenso prominenten Platz einzuräumen, wie den Sprachen zusammengenommen. Reduzieren Sie, geschätzte Bildungsdirektion, zum Beispiel das Latein an allen Untergymnasien auf drei statt teilweise sieben Lektionen, ohne es abzuschaffen, ersetzen sie, am Anfang, die Geisteswissenschaft Geschichte, die manchenorts im Untergymi prominent ausgebildet wird, durch die Naturwissenschaft Geografie. Fächeren Sie MINT früh in Chemie, Physik und Biologie auf, führen Sie einen Informatikunterricht mit Schwerpunkt Applikationsentwicklung. Und das alles selektionswirksam. So werden sich nicht nur mathematisch einseitig Begabte, sondern auch sprachlich einseitig Begabte einen anderen Bildungsweg suchen müssen.
Damit wären zwei Dinge auf einen Schlag erreicht: Erstens mehr technisch-naturwissenschaftliche Akademiker und zweitens weniger Studierende insgesamt, diese dafür aber breiter talentiert.
Eine Reform des Untergymnasiums muss angestossen werden. In diesem Sinn bitte ich, die abweichende Stellungnahme im Sinne der Postulanten (ein Versuch mit einem Profil ist zu wenig) anzunehmen .