Qualität im Wesentlichen statt Qualitätssicherung im Nebensächlichen

Ohne die gesetzliche Erwähnung von Schulprogrammen geht Schulentwicklung besser: Nämlich mit zentralen Fragen und wirklichen Bedürfnissen. Der Qualitätssicherungs-Regelkreis, der in der Volksschulverordnung zur Formulierung und Ausführung des Schulprogrammes vorgeschrieben ist, führt demgegenüber zur dauernden Beschäftigung mit Nebensächlichkeiten. Das Schulprogramm abzuschaffen, wäre daher eine wirkliche Entlastungsmassnahme.

 

PI Abschaffung Schulprogramm – Präsentation vom 22. November 2011 für die ständige Kommission für Bildung und Kultur (KBIK) des Kantonsrates


Es freut mich sehr, dass ich in der KBIK die Parlamentarische Initiative von Stefan Dollenmeier und mir vorstellen darf, zur Abschaffung der Schulprogramme.

Sie haben die Vorlage vor sich. Sie sehen also, was wir technisch fordern: Die Streichung der Verpflichtung zum Schulprogramm im Volksschulgesetz. Schulen dürfen auch mit unserer PI weiterhin ein Schulprogramm erlassen. Die PI legalisiert lediglich die Schulen, die – wie ja alle vor 2005 – noch immer ohne Schulprogramm fahren oder lieber wieder darauf verzichten würden.

Ich spreche zuerst zum Wesen der Schulprogramme grundsätzlich.

Dann zum heutigen Qualitätsbegriff der Volksschule, für den leider Schulprogramme ein wichtiges Element darstellen.

Überlegungen zu Aufwand/Ertrag der Schulprogramme bilden den Abschluss.

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Nun also zum Wesen der Schulprogramme: Wenn Sie Beispiele von Schulprogrammen untersuchen, werden Sie feststellen, dass konkrete Entwicklungen, die sie in den Schulprogrammen entdecken, auch ohne Schulprogramm möglich sind.

Sie sind teilweise vom Gesetzgeber vorgegeben (zum Beispiel die Mitwirkung von Eltern und Schülern bei Entscheidungen zum Schulhaus, Sonderpädagogische Konzepte etc.), teilweise von den Lehrpersonen gewollt.

Es ist nun aber ein riesiges, unbegründetes und sehr trauriges Misstrauen gegenüber den Lehrerinnen und Lehrer, ihnen nicht zuzugestehen, dass nicht schon immer, schon vor den Schulprogrammen, schon Jahrzehnte vor dem Volksschulgesetz – immer – freiwillig – Schulentwicklung stattgefunden hat.

Gerade die Tatsache, dass in einem Schulhaus verschiedene Lehrpersonen zusammenkamen, die ihre Unterrichtsweiterentwicklungen nur teilweise koordinierten und verschiedene Wege gingen, garantierte eine unglaubliche Vielfalt. Zudem orientierte sich freiwillige Entwicklung oft am sinnvollen, machbaren und an echten Bedürfnissen.

Ich habe, als ich noch in dieser Kommission war, Stimmen im Ohr, die das Schulprogramm mit Misstrauen begründet haben. „Die alte Lehrer söllet sich endlich bewege“. Lehrer haben sich immer bewegt, nur häufig nicht in die Richtung, in der es ideologische BildungspolitikerInnen forderten.

Das Schulprogramm beendet diese Vielfalt, weil die Lehrpersonen einer Schuleinheit zum gemeinsamen Takt, zu gemeinsamen Projekten gezwungen werden. Das Schulprogramm koordiniert. Es ersetzt freigeistiger Individualismus, wie ihn Vorbilder für unsere Kinder haben sollten, durch Systemtreue und Gleichtakt.

Ich spreche mich nicht gegen einen gemeinsamen Terminkalender im Schulhaus aus, ich spreche mich nicht gegen Koordination aus. Aber ehrlich: Muss man eine Agenda vorschreiben? Ist Koordination nicht im natürlichen Interesse aller derjenigen, die davon profitieren? Oder die ihre Ideen nicht einbringen können, weil niemand koordiniert? Selbst an Beschlüsse der Schulkonferenz können Lehrpersonen ohne Schulprogramm gebunden werden, nach Artikel 23 des Volksschulgesetzes, auch nach Annahme unserer PI. Und ein solcher Beschluss kann eine Koordination der Aktivitäten sein. Kann – muss aber nicht.

Bei der gesetzlichen Erwähnung des Schulprogramms geht es um mehr: In der Volksschulverordnung wird der Schulpflege die Pflicht auferlegt, den Rhythmus des Schulprogramms zu takten, zwischen drei bis fünf Jahren. Die Schulpflege kann verlangen, dass die Massnahmen, welche die Fachstelle für Schulbeurteilung einer Schule auferlegt, egal ob sinnvoll oder nicht, teil des Schulprogramms werden, die Lehrpersonen müssen zur Umsetzung Jahrespläne erlassen.

Es ist dabei zu Fällen gekommen, aus der Stadt Zürich ist das bekannt, wo Schulbehörden zusammen mit den Schulleitungen das Schulprogramm vorgegeben haben, ohne grosse Mitwirkungsmöglichkeiten des Teams. So zum Beispiel wird von allen Schulen im Schulkreis Glatttal verlangt, dass sie kooperative Unterrichtsformen einführen und sich die Lehrerteams darin weiterbilden.  Und dass Klassenräte eingeführt werden, und so weiter. Entsprechend werden Lehrpersonen bei den Mitarbeiterbeurteilungen auch qualifiziert. Dieser Missbrauch via Entwicklungsvorgaben durch Personen, die selber kaum eine Ahnung davon haben, welches die Hintergründe, Vor- und Nachteile, Schwierigkeiten und Kompetenzen sind, die bei bestimmten Lernformen und Pädagogiken auftreten, ist nur möglich, wenn Schulen zum Schulprogramm verpflichtet werden können. Im Glatttal stehen vier sogenannte Q-Tage pro Jahr für die Qualitätssicherung zur Verfügung.

Vor jedem Erlass des Schulprogramms ist eine Standortbestimmung mit der Schuleinheit durchzuführen, wobei die systematisch erfasste Meinung von Eltern, Schülerinnen und Schülern einzubeziehen sind. Bürokratie, Administration und etliche externe Teamcoaches an Weiterbildungstagen sind die Folge. Und für was? Um festzustellen, dass das SchülerInnenparlament noch optimiert werden kann. Um festzustellen, dass Kollega X gut mit einem Klassenrat fährt, und Kollega Y zu demselben Thema eher negative Erfahrungen gemacht hat. Um festzustellen, dass es der Elternmitwirkung besser gelingen muss, Engagement für Schulanlässen zu wecken. Um festzustellen, dass die Computer-Infrastruktur im kommenden Jahr erneuert werden sollte. Um festzustellen, dass gemeinsame Klassenlager einfacher gehen und dies im kommenden Jahr zwei Klassen mehr versuchen, um festzustellen, dass die Sammlung an geometrischen Körpern veraltet ist, und dass man doch wenigstens gerne ein anständiges Weihnachtsessen hätte und es die Lehrer gerne hätten, wenn der Schulsozialarbeiter auch an Teamanlässen mitmachen würde, und so weiter….

Insgesamt einen Haufen Belanglosigkeiten. Warum? Weil die Dinge, auf die es wirklich darauf ankommt, die Lehrpersonen tagtäglich sowieso machen, sich austauschen und sich entwickeln. Und damit komme ich zum Thema Qualitätsbegriff. Meine Kritik: Schulprogramme zielen am Wesentlichen vorbei. Sie steuern die Qualität – auch nach “Empfehlungen“ der Fachstelle – am Kern der Bildung vorbei. Und schlimmer noch, sie rauben damit den wesentlichen Dingen Zeit.

Was ist wesentlich?

Eltern, Kinder und Lehrpersonen empfinden Schule dann als gelungen, wenn das Kind etwas lernt und zufrieden nach Hause kommt. Wenn Sinnhaftigkeit erlebt wird.

Wichtigste Grundlage dafür ist immer noch das AHA-Erlebnis, der Moment der Einsicht. Er gelingt nur in Beziehung des Kindes mit dem zu lernenden Inhalt, “dem Stoff“, und oft via einer Bezugsperson. Lehrperson, Eltern, Freunde und Klassenkameradinnen und Kameraden. Die wesentlichste Aufgabe der Schule ist es, Situationen zu schaffen, in denen diese Beziehungen klappen. Punkt.

Gute Vorbereitung des Stoffes, der Lektionen, Eingehen auf die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler, sich Zeit nehmen für sie, ernst nehmen. Zeit für Erziehung wenn etwas geschieht, nicht erst einen Tag später. Das sind die Zutaten, aus denen gute Schule entsteht.

Das würden Sie in diesem Raum sicher alle sofort bestätigen. Dann muss ich sie fragen, weshalb dann im Gesetz eine Qualitätssicherung etabliert ist, mit Schulprogramm und Fachstelle, welche genau die wesentlichsten pädagogischen Momente nicht erfasst.

Damit ist auch klar, was eigentlich ins Zentrum der Schulqualität gehört. Nämlich nicht ein Regelkreis aus Evaluation, Standortbestimmung, Schulprogramm, Entwicklungsschritten, Evaluation, Standortbestimmung, Schulprogramm, Entwicklungsschritten – sondern eine Konzentration auf das Wesentliche.

Diese Diskussion – ob Regelkreise oder wesentliche Momente in der Perspektive pädagogischen Wirkens sein sollen – ist übrigens eine ziemlich Alte. Beide Ansichten haben in der Pädagogikgeschichte Grundlagen. Sekundarlehrer und sicher auch PHZH-Absolventen werden in diesen verschiedenen Denkweisen der Pädagogik ausgebildet. Es ist eigentlich einen Irrsinn und Lehrpersonen-Studiengeld verschleudert, dass sich diese Experten anschliessend in Systemen bewegen, die von Vorgesetzte bestimmt sind, die davon oft nur sehr wenig Ahnung haben. Das ist das Gegenteil von Qualität.

Das Ganze, sehr geehrte Kommissionsmitglieder, ist auch nicht ökonomisch. In vielen Schulhäusern – in einigen aber auch nicht – findet die Umsetzung des Schulprogrammes in sogenannten Q-Gruppen statt. In diesen Qualitätssicherungsgruppen treffen sich alle zwei bis drei Wochen die gleichen Lehrpersonen und besprechen ihr Thema – wie wir Kantonsräten in unseren ständigen Kommissionen. Die einen entwickeln die Gesundheitsförderung, andere die verschiedenen Partizipationen, dritte führen eine Evaluation durch, vierte planen das neunte Schuljahr oder sinnieren über das Modell der Sekundarstufe, fünfte befassen sich mit erweiterten Lehr- und Lernformen und so weiter. Jede Lehrperson muss einer solchen Q-Gruppe angehören, es gehört zum Berufsauftrag und bildet Teil der Mitarbeiterqualifikation. Den Sporttag organisieren, ein Theaterprojekt, ein Schulsilvester oder ein Teamausflug gilt nicht als gleichwertig. Weil es diese Anlässe schon gibt und schon immer gegeben hat stellen sie keine Qualitätsentwicklung dar. Wer sie organisiert ist in einer Arbeits- aber nicht in einer Q-Gruppe. So machen das die gleichen Lehrpersonen auch noch. Es ist völlig klar, dass unter dieser Menge sogar die Qualität der Qualitätssicherung leidet, aber ausgerechnet in diesem, für die Schülerinnen und Schüler viel weniger wesentlichen Bereich als der Sporttag, ausgerechnet da besteht eine Programmpflicht.

Entfernen Sie also mit der Umsetzung meiner PI die Programmpflicht! Das führt zu unbelasteten und freiwilligem Engagement in sinnvollen Bereichen: Qualität im Wesentlichen statt Qualitätssicherung im Nebensächlichen, weniger Aufwand, mehr Ertrag.