Das neue Volksschulgesetz beinhaltet die rechtlichen Grundlagen für das Projekt RESA (Reform des sonderpädagogischen Angebotes). Dies hat eine tiefgreifende Änderung zur Folge: Die Kleinklassen B (Lernbehinderungen), C (Sinnesbehinderungen) und D (Verhaltensauffällige) werden abgeschafft. Auf der Oberstufe sind neu keinerlei sonderpädagogischen Massnahmen mehr vorgesehen, bisher wurden in grösseren Gemeinden immerhin Kleinklassen subventioniert. Falls das Volksschulgesetz angenommen wird, führt diese Reform zu einem grossen Qualitätsabbau.
Die Abschaffung der Kleinklassen kommt im Volksschulgesetz nur undeutlich zum Vorschein. Um diesen Absichten nachzuspüren, benötigt man den Projektbeschrieb des RESA sowie die Erläuterungen des Regierungsrates zum Volksschulgesetz und zu dessen Vernehmlassung. Einmal mehr zeigt sich, wie Buschor’sche Taktik die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger „an der Nase herumführt“ und wichtige Dinge während dem ganzen Abstimmungskampf verschleiert bleiben.
Stimmen wir dem Volksschulgesetz zu, werden nur noch maximal zwei Kleinklassen geführt werden, nämlich die Kleinklasse E (Integrationsklasse für Fremdsprachige) sowie eine einzige Klasse für Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. In dieser Klasse werden die Sinnesbehinderten, mit den Lernbehinderten und den Verhaltensauffälligen zusammengefasst, und zwar nur diejenigen, die sich von der Intensität des besonderen pädagogischen Bedürfnisses her nicht in eine Regelklasse integrieren lassen. Es gibt also eine Kleinklasse für die „extremen Fälle“ total unterschiedlicher Bedürfnisse – stellen Sie sich diesen Unterricht einmal vor! Damit wäre die einst abgeschaffte „Abschlussklasse“ wieder eingeführt. In diese „Abschlussklassen“ wurden früher in den Regelklassen untragbare Schülerinnen und Schüler „abgeschoben“. Dies war eine schreiende Ungerechtigkeit, gegenüber der differenzierten Pädagogik, welche heute den Betroffenen in den unterschiedlichen Kleinklassen zuteil wird.
Ersetzt werden sollen die Kleinklassen in den Primarschulen aber vor allem durch die Integrative Form (IF oder ISF). IF wird heute in kleineren Gemeinden, wo und so lange sich die Anzahl der sonderpädagogischen Fälle in Grenzen hielt, praktiziert. Im IF werden Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in die Regelklassen integriert, wobei sie dabei von einer heilpädagogischen Lehrkraft begleitet werden – allerdings nur in gewissen Fächern.
Und jetzt der Clou: In einem Kommentar zum neuen Gesetz der Bildungsdirektion heisst es, dass eine Ausdehnung des sonderpädagogischen Angebotes auf die Oberstufe angesichts des schulischen Differenzierungsgrades der Oberstufe (Sekundarschulen A, B, C oder Gegliederte Sekundarschule sowie Untergymnasium) unverhältnismässig sei. In anderen Worten: In den Oberstufen gibt es künftig keine Sonderpädagogik mehr.
Dies ist nun angesichts der Verhältnisse wirklich ein trauriger Witz. Es bedeutet konkret, dass vor allem in Klassen der Sekundarschule C (Oberschule) oder in Stammklassen G zusätzlich stark verhaltensauffällige Jugendliche und Jugendliche mit Lernbehinderungen integriert werden, ohne Unterstützung durch eine heilpädagogische Lehrperson. Jugendliche mit sonderpädagogischen Bedürfnissen beanspruchen eine sehr viel höhere Aufmerksamkeit der Lehrperson, als die anderen Schülerinnen und Schüler – welche auch nicht immer alles bereits eigenständig lernen, sondern motiviert werden müssen, da und dort mehr und da und dort weniger Leitplanken benötigen, welche auch ab und zu Probleme haben und ein Recht darauf, ernst genommen zu werden. Schon heute ist dies nicht immer einfach, und gerade der Lehrermangel auf der Oberstufe zeigt, dass es zu Situationen kommen kann, deren gute Lösung bereits heute fast unmöglich sind.
Auch aus der Optik der integrierten Jugendlichen ist die Sache keine Qualitätsverbesserung: Statt dass ihnen eine mehr oder weniger auf ihr Bedürfnis abgestimmte Pädagogik zuteil wird, werden sie zu „besonders schwierigen Fällen“ in Regelklassen. Jahrelang erworbenes spezifisches wertvolles KnowHow von Kleinklassenlehrpersonen geht verloren.
Gerecht ist nicht, wenn man unterschiedlichen Bedürfnissen gleich begegnet, in dem man alle in die gleichen Klassen integriert. Gerecht ist, wenn man den unterschiedlichen Bedürfnissen angepasst begegnet. Damit dies auch weiterhin so geschehen kann, muss am 24. November unbedingt drei Mal Nein zu den Bildungsvorlagen gestimmt werden!