Nur eine Fremdsprache lernen statt Zeit vertrödeln

Mit leistungsstarken Jugendlichen, die ab der zweiten Primarklasse Englischunterricht erleben, kann ich bereits Anfangs der Sekundarschule einige Sequenzen auf Englisch in den Geografie- oder Naturkundeunterricht einbauen. Das ist schön. Die Englischkompetenzen im 13. Altersjahr sind höher als früher.

Doch gibt es in jedem dritten Sekundarschuljahrgang Jugendliche, die vom Fach Französisch befreit sind, manchmal auch vom Englischen, weil sie dem Unterricht nicht mehr zu folgen vermögen und nicht motiviert sind, brauchbare Lernziele zu verfolgen. Nicht wenige davon bissen sich trotz tiefsten Leistungen bis Ende der zweiten Sek durch.

Bei Sprachbegabten ist der Unterschied mit oder ohne Frühenglisch am Ende der Sek nicht spürbar: Diese Erfahrung ist durch mehrere Studien belegt: Früh eine zweite Fremdsprache „spielerische zwei Lektiönchen“ pro Woche im Stundenplan einzubauen, ist gegenüber dem später notwendigen effizienteren Lernen vernachlässigbar. Seit der Einführung des Englischunterrichts ab der zweiten Klasse vor zehn Jahren wird so an Zürcher Primarschulen Zeit verschwendet, Zeit, die klüger für die Erstsprache Deutsch oder für Mathematik, Naturkunde, Geografie und Geschichte eingesetzt werden sollte. Die solide Ausbildung in der Erstsprache ist beste Grundlage, um später effizient Fremdsprachen zu lernen. Auch diese Alltagserfahrung ist durch Studien belegt.

In den letzten zwanzig Jahren festigte sich ein höherer Mädchenanteil in der Sek A und im Gymnasium. Knaben erreichen höhere Anforderungsstufen weniger. Warum? Hier gibt es keine Studie, denn das Resultat könnte «politisch inkorrekt» herauskommen: Stimmt die Erfahrung etwa, dass die Konzentration im Schriftlichen und Kommunikativen, welche für wirklichen Erfolg in Sprachen halt nötig ist, den quirligen Viert- bis Sechstklässlern weniger behagt als manchem Mädchen? Und dass die Jungs deswegen nicht so gut «mitmachen»? Es spielt keine Rolle, ob die Noten zum Übertritt in die nächste Schulstufe zählen oder nicht, in den Hinterköpfen der Lehrpersonen sind Leistungen und Arbeitsverhalten in Fremdsprachen immer ein Kriterium. Dass heute ab der Primarschule weder Französisch noch Englisch für den Übertritt ins Gymi geprüft werden, zeigt, dass diejenigen, die Fremdsprachen in den Primarstundenplan eingebaut haben, selber der Sache nicht trauen. Mit nur einer Fremdsprache an der Primarschule wird die Sprachlastigkeit korrigiert.

Die Initiative «Mehr Qualität – nur eine Fremdsprache an der Primarschule» hat einen Haken: Sie sagt nicht, welche Fremdsprache. Für die Lernziele zum Ende der Volksschulzeit spielt dies keine Rolle: Die zweite Fremdsprache wird, bei Annahme der Initiative, in der Sekundarschule effizienter gelernt, die Erste an der Primarschule. Wohl manche Primarlehrkräfte würden lieber Englisch unterrichten. Der Bund setzt hingegen auf die zweite Landessprache. Wäre dies schlimm? Selbst wenig sprachmotivierte Kinder freuen sich, wenn in der Sek Französisch weniger wird und Englisch startet. Unbekehrt, wenn in der Primar Englisch schon unüberwindbar scheint und dann Französisch obendrauf kommt, ist die Motivationslage viel weniger optimal. Für Sprachbegabte spielt es keine Rolle: Sie haben aber das Recht, die Schulzeit in effizienten Settings zu verbringen und das heisst: Nur eine Fremdsprache an Primarschule.

Matthias Hauser, Sekundarlehrer, Kantonsrat und Mitglied der Kommission für Bildung und Kultur


Die «Pfenninger-Studie»

Medienmitteilung zur Studie von Dr. Simone E. Pfenninger,  Uni Zürich

2014 veröffentlichte die Linguistin Dr. Simone E. Pfenninger, Englisches Seminar der Universität Zürich, ihre Studie, welche den Sprachenerwerb von 200 zufällig ausgewählten Zürcher Gymnasiasten mit und ohne Frühenglisch während fünf Jahren verglich. Dies war damals möglich, weil vor 2006/7 noch nicht in allen Zürcher Primarschulen Frühenglisch eingeführt war. Die Gymnasiasten wurden von Beginn bis Ende ihrer Oberstufenschulzeit getestet. Ziel der Studie war es, den Einfluss der Erstsprache (Deutsch) auf den Erwerb der Fremdsprache festzustellen.

Bereits nach 6 Monaten haben die Jugendlichen ohne Frühenglisch diejenigen mit Frühenglisch eingeholt und teilweise sogar übertroffen punkto Grammatik, Sprachfluss sowie inhaltlicher und struktureller Aspekte des schriftlichen Ausdrucks. Die Früheinsteiger schnitten im Bereich Wortschatz besser ab. Vor der Maturitätsprüfung war kein Unterschied mehr feststellbar.

Die Studie zeigte noch etwas Anderes: Die Kinder ohne Frühenglisch wiesen zu Beginn des Gymnasiums signifikant bessere schriftliche Deutschkenntnisse aus.

Die Befunde anderer Studien (z.B. der Vergleich mit dem Kanton Solothurn in der «Evaluation der Englischkompetenzen im Kanton Aargau» von Nicole Bayer und Urs Moser, Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich) zeigen mittlerweile in die gleiche Richtung: Fremdsprachenerwerb in der Sekundarstufe funktioniert effizienter.

Pfenninger, Simone E. The Literacy Factor in the Optimal Age Debate: a 5-Year Longitudinal Study. International Journal of Bilingual Education and Bilingualism. doi: 10.1080/13670050.2014.972334