Wer bezahlt, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einem Heim untergebracht wird? Diese 80-Millionen-Franken-Frage beantwortet die kantonale Abstimmung vom 24. September zur Heimfinanzierung. Die Praxis war bisher vernünftig. Paradox ist: Wer es so lassen will, muss JA zur Änderung stimmen.
Eine erste Einschränkung: Schulheime, wo Kinder wohnen, weil in der eigenen Gemeinde im Fall einer Behinderung oder wegen einem «originellen Verhalten» die notwendige Art von Schule nicht vorhanden ist, sind von der Abstimmungsvorlage nicht betroffen.
Wenn es nicht um die Schule geht, denkt man, ist es eigentlich klar: Für Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von Kindern sind Eltern verantwortlich, natürlicherweise und gemäss Zivilgesetz. Wenn nun Eltern diese Verantwortung nicht wahrnehmen können, weil sie krank sind, wegen Gewalt, Drogensucht, weil sie verstorben sind, wenn ein Jugendlicher immer und immer wieder «abstürzt» und die Eltern überfordert: Dann verfügt die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde KESB eine Fremdplatzierung. Früher gab es Gotten und Göttis, Grosseltern. Heute, allzu oft, Pflegefamilien und Kinder- und Jugendheime. Damit zur zweiten Einschränkung: Pflegefamilien sind von der Abstimmungsvorlage auch nicht betroffen.
Wie werden nun nur diese Kinder- und Jugendheime finanziert? Grundsätzlich sollen die Eltern verantwortlich bleiben und bezahlen, wie wenn die Kinder zu Hause wohnen würden. Im Kanton Zürich ist aber bereits seit 1962 der Kanton mitverantwortlich. Er übernimmt grundsätzlich Kosten von beitragsberechtigten Heimen – den Eltern wird eine sogenannte «Versorgertaxe» weiterverrechnet. Diese ist hoch: Pro Tag 245 (normales Heim) bis 350 (Jugendstrafvollzug) Franken. Viele Eltern können sie nicht bezahlen, deshalb wird ihr Anteil Gemeinden verrechnet. Diese müssen so Kostengutsprachen zu den KESB-Entscheiden beschliessen: «Die KESB entscheidet, und wir bezahlen» klagen sie nicht zu unrecht. Die KESB gibt es seit 2013, zuvor haben Sozialämter und Behörden der Gemeinde die Heimplatzierungen organisiert: «Wer zahlt, befiehlt» galt. Gemeinden sind die Behörde, die den Eltern am nächsten steht. Das führte dazu, dass seit Jahren rund ein Drittel der Kosten vom Kanton und zwei Drittel der Kosten von Eltern und Gemeinden getragen wurden.
Das wäre noch immer unbestritten, wenn es keine ausserkantonalen Heime gäbe. Wie und zu welchem Preis man Kinder in einem Heim platziert, welches nicht im Kanton Zürich liegt ist in einer «interkantonalen Vereinbarung» geregelt. Weil dazu die Kantone miteinander verhandelten, und nicht eine einzelne Gemeinde mit dem Nachbarkanton, war eben per Gesetz der Kanton Kostenträger nicht die Eltern und Gemeinden. Hätte eine Gemeinde ein Kind in einem Aargauer Heim platziert, hätte sie nichts bezahlen müssen. Es wäre kostenmässig attraktiv gewesen, Kinder in fremden Kantonen zu platzieren. Wäre. Denn die Kantonsverwaltung hat deshalb alle Heimplatzierungen so behandelt, als gäbe es diesen Unterschied im Gesetz nicht. Fair aber nicht korrekt.
Dies haben das Verwaltungs- und sogar das Bundesgericht festgestellt, als eine Gemeinde, die nicht, wie alle andern, zahlen wollten, geklagt hat. Der Kanton müsse heute alle Kosten von ausserkantonalen Heimen übernehmen und es dürfe keinen Unterschied zur Innerkantonalen geben: Das müsse man regeln.
Einige Gemeinden jubilierten und beantragten dem Kanton auf zehn Jahre zurück die Rückforderung der Eltern und Gemeindebeiträge.
Der Kantonsrat jedoch hat den Auftrag der Gerichte erfüllt und geregelt. Und zwar so, dass neu bei innerkantonalen und ausserkantonalen die bewährte Praxis gilt: Grundsätzlich sind neben dem Kanton die Eltern in der finanziellen Verantwortung und – wie bei Sozialkosten auch – die Gemeinde, wenn es die Kraft der Eltern übersteigt. Nur die FDP war dagegen. Diese will, müssen sie wissen, in einer anderen, noch hängigen, Vorlage erreichen, dass der Kanton alle Kosten komplett übernimmt. 80 Millionen Franken Mehrausgaben pro Jahr.
Warum die FDP so stimmte, bleibt rätselhaft. Sie schafft neue Unterschiede, denn, wie erwähnt, Schulheime und Pflegefamilien erhielten weiterhin Eltern- und Gemeindebeiträge. Zweitens bleiben die Kosten für Massnahmen, die eine Heimeinweisung verhindern könnten, z.B. eine Familienbetreuung, bei den Gemeinden. Je weniger Erfolg ein Hilfsversuch hätte, desto günstiger käme es die Gemeinde, weil dann das Kind auf Kantonskosten im Heim platziert würde. Welch falsches Anreizsystem!
Wir stimmen über die Vorlage ab, weil nicht die Hälfte aller Gemeinden, 67, gegen die Gesetzesänderung das Referendum ergriffen haben. Sie wollen, dass der Steuerzahler die Kosten künftig aus der linken (Staatssteuer) statt der rechten Hosentasche (Gemeindesteuer) berappt.
Die SVP Fraktion im Kantonsrat und die Kantonalpartei (DV vom 24. August) haben weniger schildbürgerartig entschieden: Die Suppe soll dort ausgelöffelt wird, wo sie entsteht. Möglichst von den Eltern und nicht durch die Kantonalisierung von Heimkosten. Deshalb Ja zur Heimfinanzierung!