Es hält die Schweiz zusammen und nützt selbst dem inneren Frieden im Kanton Zürich!
Nachdem die Unternehmensverantwortungsinitiative am 29. November 2020 nach einem hauchdünnen Volksmehr (50.7%) dank der Mehrheit der Kantone doch abgelehnt wurde, brechen einige der Verliererinnen und Verlierer in Wehklagen über das Ständemehr aus. Dabei hält diese Institution die Schweiz zusammen. Selbst für den Kanton Zürich, der bei den Ständen als befürwortetender Kanton (52.8%) verloren hat, ist es positiv. Warum zeigt folgende Tabelle:
In zehn von zwölf Bezirken im Kanton Zürich haben auch die Zürcher Stimmberechtigten mit deutlicher Mehrheit die Initiative abgelehnt. Ausnahmen sind die bevölkerungsreichen Städte Zürich und Winterthur. Auf Kantonsebene kennen wir keine Ständemehr – gäbe es aber ein Bezirksmehr oder ein Gemeindemehr, so wäre die Initiative auch im Kanton Zürich gescheitert.
Natürlich, ein Bezirks- oder gar Gemeindemehr ist in eidgenössischen Abstimmungen Blödsinn. Aber schauen wir etwas genauer hin: Alleine die Stadt Zürich hat mit rund 240’000 Stimmberechtigten doppelt so viel Stimmkraft wie die Stadt Winterthur mit 110’000. Als nächstes folgt der Bezirk Bülach mit 90’000. Zwei von zwölf Bezirken, nämlich die Städte Zürich und Winterthur, haben zusammen über einem Drittel aller Stimmberechtigten im Kanton Zürich (rund 945’000). Die Stadt Zürich alleine mehr als ein Viertel.
Es ist bei der Unternehmensverantwortungsinitiative geschehen und es wäre in anderen Fragen auch möglich: Das Gewicht der Städte kann die Bevölkerung auf dem Land überfahren. Winterthur und die Stadt Zürich alleine vermögen deutlich andere Abstimmungsresultate der Landschaft zu kehren. Das hat Folgen:
- Im Kanton Zürich lohnt es sich für Abstimmungskampagnen, die Städte besonders zu bearbeiten. Das führt zu unterschiedlichem Informationsstand über die Argumente („Informationsblasenbildung„).
- Linke Anliegen, die in der Stadt fruchtbaren Boden finden, oder Anliegen, die Steuergeld vom Land in die Stadt bewegen, haben es im Kanton Zürich einfacher, als Anliegen der Landwirtschaft, des regionalen Kleingewerbes oder von Landregionen (z.B. Verkehr in Randregionen).
Da ist es doch gut, dass das Ständemehr wenigstens auf schweizerischer Ebene der Landbevölkerung wieder ein bisschen hilft. Für den Zusammenhalt der Schweiz ist es zentral, dass nicht die bevölkerungsreichen Regionen die Übrigen immer dominieren. Denn oft geschieht genau dies bereits: Über den Umgang der Berggemeinden mit Zweitwohnungen, mit dem Alpenschutz oder dem Wolf oder früher bei Staudammprojekten. Es waren nicht primär betroffene Einwohnerinnen und Einwohner, sondern die Menschen aus der entfernten Stadt, welche darüber entschieden, was letztlich zu tun ist.
So gesehen gibt es auch dort, wo kein Ständemehr erforderlich ist, irgendwie störend von Nicht-Betroffenen (“Schreibtischtätern“) überstimmte Betroffene einerseits und Systemprofitierende andrerseits. Beim reinen Volksmehr haben die bevölkerungsreichen Regionen einen Vorteil, dafür halt beim Ständemehr die ländlicheren Gegenden mehr Gewicht. Eine typisch schweizerische Balance. Die aber absolut notwendig ist, wenn man ein so vielfältiges Land, mit verschiedenen Wirtschaftsräumen, Mentalitäten, Kulturen und Sprachen und Regionen zusammenhalten will. Schweizweit sind wir durchaus nicht so eng verbunden, als dass sich dies ständig Überstimmte auf ewig bieten lassen müssten…
Anders im Kanton. Da ist die Vernetzung mit dem Staat stark, der Kanton übernimmt viele Aufgaben, die direkt für Einwohnerinnen und Einwohner spürbar sind. Die ewig überstimmte Gemeinde wird sich nur wenn sie am Rande eines Nachbarkantones leben würde vom Stand Zürich lösen können. Trotzdem – oder freundlicherweise gerade deshalb – sollten wir auf Ausgleich bedacht sein. Und da habe ich einen Vorschlag: Statt über die Abschaffung des Ständemehrs nachzudenken, wäre es vielleicht eben doch sogar gut, ganz nach dessen Modell bei kantonalen Volks- oder Behördeninitiativen ein Bezirksmehr einzuführen….