Liebe Einwohnerinnen und Einwohner
Während den Sommerferien bereiste ich die Schweiz, jeden Abend an einem anderen Ort. Auch im Massenlager, wo man für die Dusche Münzen in den Wasserautomaten stecken musste.
Monumentale Panoramen, Bergen, Seen, versteckte Wasserfälle, Murmeltiere und Alpenflora: Wir leben in einem schönen Land. Alles «gepützelt», glatte Strassenbeläge, bestens markierte Wanderwege, weltweit die präzisesten Landeskarten, engmaschiger ÖV. Bei Domodossola kam ich über die Grenze: Man erkennt den Unterschied bereits am Layout durch das Eisenbahnfenster.
Der Wille zur Dienstleistung machte die Schweiz zum grossen Tourismusland. Unsere Vorfahren, die oft selbst weniger wohlhabend lebten, haben dafür gearbeitet, Mehrwert geschaffen. Hinter überdurchschnittlichen Dienstleistungen standen Menschen, die bereit waren, überdurchschnittlich gut Dienst zu leisten.
Heute wachsen wir an diese hohen Standards gewohnt auf. Sie sind «natürlicher Anspruch» geworden. Um sich dieses Leben zu leisten, muss das eigene Einkommen hoch sein. So kommt es, dass das erwähnte Massenlager im Luftschutzkeller zusammen mit einem einfachen Nachtessen 63 Franken kostete und Jugendherbergen nicht günstiger waren. So kommt es, dass angetroffene Angestellte in nur älteren Bergdorfhotels aus Ländern Osteuropas stammten (trotz tieferen Löhnen freundlich). Und so kommt es, dass uns Tourismusländer überholen, wo heutige Arbeitnehmer anspruchsloser aufgewachsen sind.
Die Klage, dass immer mehr Touristen nach Österreich in die Berge fahren, nützt nichts. Die Ursache liegt darin, dass sich Herr und Frau Schweizer vom Dienstleistungserbringer zum Dienstleistungskonsumenten gewandelt haben.
Gedankenbogen zur Gemeinde: Wir erwarten ein «gepützeltes» Strassenbild, absolute Sicherheit bei Hochwasser, Schulwegbeleuchtungen, den besten Anschluss an den öffentlichen Verkehr, eine vollständige Weihnachtsstrassenbeleuchtung, nicht nur eine Wasser- sondern auch eine Notwasserversorgung, eine in allen belangen und stets professionelle Verwaltung, rund-um-die-Uhr verfügbare Pflege, eine grosszügige Kultur- und Vereinsunterstützung. Wir erwarten Professionalität auch dort, wo viele Leistungen von Freiwilligen erbracht werden (Behörden, Pflege, Feuerwehr, Festorganisationen u.a.).
Menschen aber, die bereit sind, in der Gemeinde eine Dienstleistung für wenig oder ganz ohne Entschädigung zu erbringen, werden seltener. Und die Diskussionen darüber, wie man Freiwilligenarbeit «attraktiver» gestalten könnte, damit überhaupt noch jemand die Dienstleistung erbringt, laufen allenthalben. Professionalisiert man oder kauft eine Dienstleistung ein, wird es erst Recht teuer. Solange die Gemeindekasse zahlt, stört das nur wenige. Mich schon.
Wenn jemand etwas weniger professionell, dafür von Herzen macht, wenn jemand «seine» Dienstleistung aus der inneren Begeisterung heraus, weil sie Sinn stiftet, erbringt, wenn Freiwillige ein Fest organisieren, wenn Hausfassaden und Fenster geschmückt werden, statt dass über einen Stern mehr oder weniger bei der Weihnachtsfensterbeleuchtung gestritten wird, dann lebt die Gemeinde. Und dann bleibt trotz höherem Komfort auch das Gleichgewicht zwischen «Leistung für» und «Anspruch an» die Gemeinde gewahrt. Ich rufe dazu auf, den einen oder anderen Anspruch zu überdenken und danke allen Freiwilligen!
Matthias Hauser, Gemeindepräsident