30 Jahre lang stellte Heinrich Schneider in seiner Distillerie in Hüntwangen gebrannte Wasser aus Schweizer Früchten her. Er war mit Herz und Seele bei seinem Werk, im Winter als Lohnbrenner für über 500 verschiedene Kunden. Von der Kirschenernte bis zur Traubenlese brannte er für den Eigenvertrieb. Gestern Dienstag, 22. Oktober, waren die Brennhäfen zum letzten Mal in Betrieb.
von Matthias Hauser
„Sogar die Enkel weinen und sind traurig – ich habe so etwas noch nie erlebt“ – Ein paar Mal ist Heinrich Schneider während dem Interview den Tränen nahe. Sein Lebenswerk wurde vorige Woche Stück für Stück verkauft und abtransportiert. Da ein Käufer für das Betriebsgebäude gefunden werden konnte, pressiert es jetzt mit der Räumung und anfangs November wird die Liegenschaft überschrieben. Der 71jährige Heinrich Schneider brannte mit viel Engagement und Liebe und eine hohe Qualität aus Schweizer Früchten war für ihn selbstverständlich. Demzufolge war die Brennerei auch weit herum bekannt und mit ihr verliert Hüntwangen ein Wahrzeichen.
500 Kunden für die Lohnbrennerei und Innovation
Das Gerücht, die Distillerie werde bald schliessen, ging schon lange um und natürlich wurde eifrig über die Gründe für das „Aus“ spekuliert. Doch einfach ist die Sache nicht. Geschäftstüchtig war Heinrich Schneider: Eine Liste von über 500 Kunden für die Lohnbrennerei zeugt davon. Bereits ab 50 Kilogramm Früchte konnte jeder seinen eigenen Schnaps brennen lassen. Auch an Innovation fehlte es nicht: Kreative Produkte wie Himbeerbrand, Pfefferminz- und Rüeblibrand, Golden Delicious Likör und weitere lösten bei Besuchern immer wieder Staunen aus und manch einer kaufte eine Flasche davon.
Wirtschaftslage, Gesetz und Gesundheit
Das „Aus“ für die Distillerie hat verschiedene Gründe. Beispielsweise die Steuern: Jeder gebrannte Liter muss innerhalb von vier Wochen versteuert werden – es kam deshalb vor, dass Heinrich Schneider so 50’000 Franken monatlich an Steuern zu bezahlen hatte. Deshalb lohnt es sich nur noch zu brennen, wenn der Abnehmer schon vertraglich gesichert ist. Und einen solchen Abnehmer – 15’000 Liter jährlich – verlor die Distillerie vor einem Jahr dank der neuen Alkoholgesetzgebung, die 1996 vom Volk angenommen wurde. Der Import von ausländischen Schnäpsen wurde günstiger. Der Grosskunde, eine andere Distillerie, die Heinrich Schneiders Produkte brauchte, um den eigenen Brand zu verfeinern, kaufte nun billiger in Italien. Sie musste dies tun, den der Wettbewerb wurde härter, Konkurrenz in den Ladenregalen drückte die Preise – dies spürte auch Heinrich Schneider. Während die Hüntwanger Distillerie den Obstbauern für die Früchte nach wie vor faire Preise zahlte, begannen Grossbrennereien die Früchte zu importieren. Die Kirschen vom berühmten Willisauer stammen beispielsweise aus Rumänien – er gilt nur deshalb als Schweizer Produkt, weil er in der Schweiz gebrannt wird. Eine weitere Folge hatte die neue Alkoholgesetzgebung: Seit 1996 kaufte der Bund den Überschuss an Gebranntem aus Äpfeln und Birnen nicht mehr, wie bis anhin.
Hinzu kam eine negative Entwicklung auf dem Liegenschaftsmarkt: In den 80ziger Jahren gekauftes Land, welches der Distillerie später hätte dienen können, konnte nur knapp weiterverkauft werden, die Hypothek auf dem Betriebsgebäude wurde zur Last – dabei kostete allein die Konzession für die drei Brennhäfen über 40’000 Franken.
Nebst all den wirtschaftlichen Gründen machen sich auch Alter und die Gesundheit bemerkbar: Heinrich Schneider wurde 1931 geboren, er verbrachte voriges Jahr drei Monate im Spital wegen einem Problem mit den Herzklappen, seine Frau, Sylvia Schneider, zählt 74 Lebensjahre: Trotz all diesen Umständen arbeiteten die beiden weiter, den Kunden zuliebe, so lange sie konnten. Auch jetzt fällt die Trennung vom Betrieb schwer.
Tradition und Qualität
Bereits der Vater von Heinrich Schneider begann mit dem Brennen von Obst: Seit 1918 besitzt die Familie die Konzession. Damals wurde eine fahrbare Brennerei betrieben (die heute im Dorfmuseum Bachenbülach ausgestellt wird), mit dieser ging man direkt auf die Bauernbetriebe zum Brennen. Es war allerdings eher ein Nebenerwerb zur eigenen Landwirtschaft. Sylvia Schneider erzählt: „Wir mussten schon zweimal ein Gewerbe aufhören, diesmal ist es zum Drittenmal. Zuerst mit der Viehhaltung und Ackerbau, weil wir viel Pachtland hatten, dort wo seither das Kieswerk liegt. Danach haben wir Beeren gezogen und Ende der 60ziger Jahre die Bewilligung für das Betriebsgebäude der Distillerie erhalten, weil der Bund die Konzessionen verschiedener mobiler Brennereien der Umgebung zusammenfassen wollte. Das Gebäude hat ein Flachdach, damit wir darauf eine Wohnung hätten bauen können. So haben wir mit den Beeren auch aufgehört und seit 1973 ist das Hauptgeschäft der Familie die Brennerei.“ Heinrich Schneider erinnert sich, wie gewissenhaft seine Persönlichkeit von der Alkoholverwaltung geprüft wurde, als es um die Bewilligung für eine stationäre Brennerei ging.
Lädeli für die letzten Tropfen
Noch gibt es einige Produkte der Distillerie Schneider zu kaufen, Heinrich Schneider plant sogar, für den Absatz der letzten Tropfen ein kleines Lokal im alten Postbüro an der Bahnhofstrasse 81 in Hüntwangen einzurichten. „Wir stellen da einen Tisch hinein, zum Zusammensitzen, weil das ja das Wichtigste ist“, sagt Heinrich Schneider. Zu kaufen gibt’s noch Williamsbrand, Traubenbrand, Marc, Pflaumenwasser, Gravensteiner, Kirsch, Quittenwasser und Golden Delicious Likör. Bis der Tisch und die Schnäpse im kleinen Lokal eingerichtet sind, kann man Schneiders auch anrufen, wenn man etwas kaufen möchte (01 869 24 92). Die Türen der Distillerie waren immer offen für einen Schwatz, mit oder ohne Degustation. „Wir sind doch alle eine Familie“ sagt Heinrich Schneider. Und wenn es nun um die Schliessung der Brennerei geht, ist es eigentlich dieses Zusammensein das fehlen wird.
Lohnbrennerei in der Region
Folgende Distillerien und Brenner in unserer Region verarbeiten Obst. Heinrich Scheider bittet seine Kunden, sich an diese Adressen zu wenden (Adressen mitgeteilt von der eidgenössischen Alkoholverwaltung).
• Kunz Felix, Heuberg, 8127 Forch, 01 980 08 06
• Tuchschmid Roland, Sonnhalde, 8259 Rheinklingen, 052 741 20 65
• Zürcher Christian, Altikerstrasse 5, 8474 Dinhard, 052 336 20 46
• Zürcher Werner, Ebnetstrasse 23, 8474 Dinhard, ohne Telnr.
• Baur Jakob, Restaurant zur Trotte, 8415 Berg am Irchel, 052 318 11 32
• Erismann Hans, Eschenmosen, 8180 Bülach, 01 860 11 64
• Kunz Ruedi, Weinbergstrasse 181, 8408 Wülflingen, 052 222 31 21
• Zimmerli Hans, Küferstrasse, 8215 Hallau, 052 681 35 14
Wie Schnaps entsteht
Das gemahlene oder gestossene Obst wird mindestens zwei Monate lang in Tanks gegärt. Während der Gärung entwickelt sich das Aroma und der Zucker wird zu Alkohol. In den Brennhafen werden die gegärten Früchte langsam von aussen auf 80°C erhitzt – Der Alkohol und die Aromastoffe verdampfen und der Dampf wird aufgefangen, abgekühlt und fliesst innert rund vier Stunden als Destillat mit ca. 60 Volumenprozent Alkohol in bereitstehende Chromstahlkessel. Über Wochen wird das Destillat kühl gelagert, damit schliesslich mittels Anreicherung mit ebenfalls destilliertem Wasser der Alkoholgehalt auf etwa 40 Volumenprozent herabgesetzt werden kann. So richtig fein wird ein gebranntes Wasser erst nach zirka einjähriger Lagerung.