Die Sanierung der Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich (BVK) ist vom Kantonsrat beschlossene Sache, auch mit der Einmaleinlage von zwei Milliarden Franken aus der Staatskasse. Die Krise hat drei zusammenhängende Ursachen:
- tiefer Deckungsgrad
- hoher Rentneranteil
- Misswirtschaft
Der zu tiefe Deckungsgrad ist mit Abstand am besorgniserregendsten.
Deckungsgrad real bei 60%
Ende 2011: Um die Renten, zu denen die BVK bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet ist, einst bezahlen zu können, benötigt sie ein Vermögen von 25.01 Milliarden Franken. Sie verfügt aber nur über 20.9 Milliarden (83.4% Deckungsgrad). Somit fehlen 4.1 Milliarden.
Dieser Mittelbedarf gilt unter der Annahme, dass mit dem Vermögen eine durchschnittliche Rendite von 4% erzielt wird. Die Realität sieht anders aus: Die erzielten Renditen schwankten stark, waren oft negativ (z.B. -15.56% im Jahr 2008, dafür +11.17% im Jahr 2009). Als eine Rendite, welche sicher zu erzielen sein sollte, darf der Zinssatz der 10jährigen Bundesanleihe angenommen werden, zur Zeit etwa +0.8%. Mit diesem Ertrag gerechnet, der immer noch deutlich höher ist als der im Jahr 2011 tatsächlich erzielte Wert (-0.70%), fehlen der BVK über 10 Milliarden damit heute bereits bestehende Verpflichtungen bezahlt werden können. Der tatsächliche Deckungsgrad beträgt somit nur ca. 60%.
Das Problem mit dem Deckungsgrad wäre kleiner, wenn man die Höhe der Renten senken könnte. Damit würden die Verpflichtungen der BVK verringert, so dass zu deren Finanzierung die Rendite nicht unerreichbare 4% betragen muss. Dieses Vorgehen ist Teil der Sanierungsvorlage: Die Senkung des Zinssatzes auf (immer noch hohe) 3.25%.
46% des Vermögens gehört heutigen Rentnern
Doch dabei gibt es einen Hacken: Renten müssen laut Bundesgesetz mindestens der ersten bezogenen Rente bei Eintritt ins Pensionsalter entsprechen. Deshalb können Renten von Rentnern praktisch nicht gesenkt werden. Und der Rentneranteil der BVK ist hoch: 46% der benötigten 25.01 Milliarden (also rund 11 Milliarden) gehören den Pensionierten. Auf diesem Vermögen muss 4% Ertrag erzielt werden, um die Verpflichtungen zu decken. Fällt der Ertrag tiefer aus, werden Rentenzahlungen von diejenigen, die noch arbeiten, quersubventioniert, womit sich gleichzeitig die Deckung derer eigene Vorsorge verschlechtert.
Das ist keine attraktive Aussicht. Deshalb überlegen sich einige der 530 Arbeitgeber, welche der BVK angeschlossen sind (Gemeinden, Spitäler, u.a.), die Pensionskasse zu wechseln. Andere Kassen offerieren lukrativ, und Rentner dürfen in der BVK zurückgelassen werden: Ihr Anteil wird noch höher und treibt weitere Arbeitgeber zum Wechsel. Eine Todesspirale für die BVK.
Griff in die Kasse
Auch wegen Misswirtschaft fehlt heute dringend benötigtes BVK-Vermögen.
Ende der 90ziger Jahre betrug der Deckungsgrad der BVK weit über 100% (118.2% im Jahr 2000). Es gab mehr Geld, als für die Deckung der Renten notwendig war. Das verleitete zum Griff in die Kasse:
- 986 Mio. Teuerungszulage auf laufenden Renten von 1995 bis 2000
- 188 Mio. Erhöhung der Renten im Jahr 2000
- 405 Mio. Senkung der Arbeitgeberbeiträge von 1998 bis 2000
- 270 Mio. Senkung der Arbeitnehmerbeiträge von 1998 bis 2000
- 405 Mio. Erhöhung der Sparguthaben und zusätzliche Verzinsung im Jahr 2000
Die Teuerungszulagen auf den Renten wurden früher aus der laufenden Rechnung des Kantons bezahlt. Erst 1995 machte eine Statutenrevision die Rententeuerungsfinanzierung aus der BVK selbst überhaupt möglich. Sie hätten nicht gewährt werden müssen (“Kann-Formulierung“, verschuldeter Kanton). Da der Deckungsgrad damals sehr hoch war, wurde sie dennoch bezahlt. Davon haben Rentner (höhere Renten) und der Kanton als Arbeitgeber (kein höherer Aufwand) profitiert.
Insgesamt wurden damalige Rentner mit 1.174 Milliarden aus den BVK-Reserven bedient, Arbeitgeber (Steuerzahler) mit 1.3 Milliarden entlastet und Arbeitnehmer profitierten von 670 Millionen. Heute erscheint dies unverständlich. Damals funktionierte die BVK jedoch nach dem Leistungsprimat: Es war normal, dass die Finanzierung der Renten (Beitragshöhe, Sparguthaben) dem absehbaren Bedarf anpasst wurde: Der Gedanke, Reserven für Beitragssenkungen zu gebrauchen, war systemlogisch. Den Statutenwechsel vom Leistungs- zum Beitragsprimat (Rentenhöhe passt sich dem eigenen Sparguthaben an) vollzog die BVK erst im Jahr 2000. Damit durch diese Statutenrevisionen niemand eine Renteneinbusse erlitt, wurden weitere 1.37 Milliarden benötigt. So wurden die Reserven aufgebraucht.
Schmiergeld und Vetternwirtschaft
Die SVP hat seit Ende 2003 immer wieder auf Missstände aufmerksam gemacht, die schliesslich im Oktober 2011 zur Untersuchungshaft von BVK-Verantwortlichen führten und erst heute Gegenstand strafrechtlicher Untersuchungen sind.
Es sind dies:
- Die personelle Vermischung des ehemaligen Leiters der kantonalen Finanzverwaltung (welche die BVK führt) mit der privaten Investitionsgesellschaft (BT&T). Die Investition der BVK in die BT&T führte zu 247 Mio. Verlust.
- Die gleiche Person war mit dem Inhaber derjenigen Firma befreundet, welche das Beratungsmandat über die BVK-Anlagen hatte (Complementa AG).
- Der für die Hypothekargeschäfte der BVK Verantwortliche der kantonalen Verwaltung war Vorstandsmitglied des Ferienvereins der Post (Poscom). Dieser Verein mutierte zum rentablen Tourismusanbieter und betrieb Hotelanlagen – in eine Unrentable musste investiert werden. Die BVK verlor 52 Millionen.
- Der damalige Anlagechef der BVK hat mutmasslich zu hohe Kommissionen für die Anlageverwaltung ausbezahlt und gleichzeitig Schmiergelder (jeweils mehrere 100’000 Franken) bezogen. Darauf basierten die Beziehungen zu fragwürdige Finanzgesellschaften. Diese investierten BVK-Gelder verlustreich. So gingen z.B. über 70 Mio. in einem US-Hedgefonds verloren.
Die Verluste durch diese Seilschaften und deren Finanzgeschäfte dürften rund 700 Mio. ausmachen.
Sanierung wird nicht funktionieren
Die Sanierungsvorlage, welche der Kantonsrat beschlossen hat, passt sich mit ihren Kosten dem Deckungsgrad an. Insgesamt 2.6 Milliarden aus der Staatskasse (darin enthalten die erwähnte Einmaleinlage) werden benötigt, wenn die BVK bis 2019 saniert sein soll und der Deckungsgrad heute über 86.5% (= Deckungsgrad Ende 2010) läge. Auf diesem Wert basieren die Kostenschätzungen des Kantonsratsbeschlusses. Zudem wird – wie erwähnt – eine Rendite von 3.25% für die Erreichung des Rentenziels vorausgesetzt.
Die Sanierung wird nicht funktionieren. Ende 2011 ist die Ausgangslage gegenüber 2010 verschlechtert und die erwartete Rendite himmelhoch über der Realität. Was ist also zu tun?
Saubere Analyse, tiefere Rendite
Das Ziel einer Pensionskasse ist die Aufbewahrung und die Werterhaltung von Lohnbestandteilen, damit sie im Alter zur Verfügung stehen. Allein zu diesem Zweck sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur beruflichen Vorsorge verpflichtet. Eine Pensionskasse soll zudem die eigenen Verwaltungskosten decken. Kein Ziel hingegen ist die Wertvermehrung. In anderen Worten: Es ist nicht schlimm, wenn die BVK einen Börsenboom verpasst. Aber es ist tragisch, wenn bei tiefer Börse gesparte Lohnbestandteile vernichtet werden.
Die von Jahr zu Jahr stark schwankenden Renditen des BVK-Vermögens bestätigen, dass die Anlagepolitik nicht auf Werterhaltung ausgerichtet war. Für eine möglichst risikolose Werterhaltung ist eine Ertragsentwicklung von 4% weder notwendig noch realistisch, auch nicht von 3.25%.
Offenbar hat der lukrative Griff in die BVK-Reserven ende der 90ziger-Jahre den Blick verklärt. Politiker, Finanzdirektion und auch Arbeitnehmer rechneten mit Erfolg, träumten von Wertvermehrung und sahen nicht, mit welchen Methoden und Risiken die Anlageverwalter die hohe Rendite jagten, zu welcher sie verpflichtet sind. Wo die Aufsicht träumt, verwaltete Beträge hoch sind und risikoreiche Renditen verlangt werden, da ist der Boden für Korruption ideal.
Die vom Bundesgesetz verlangte Verselbständigung der BVK wird in Zukunft den Griff in die Reserven erschweren. Bereits heute werden Anlageentscheide breiter abgestützt als im letzten Jahrzehnt. Das sind Verbesserungen. Doch ohne klares Wissen über die Zusammenhänge zwischen hoher Renditeerwartung, Korruption und träumender Aufsicht ist erst ein kleiner Teil der Vergangenheit geklärt. Die SVP hat im Kantonsrat gefordert, vor dem Beschluss über die Sanierung die entsprechenden Untersuchungsberichte abzuwarten. Erfolglos.
Blind für die wirklichen Ursachen der BVK-Krise hat das Parlament eine völlig unzureichende Sanierungsvorlage beschlossen, die mit der Einmaleinlage und höheren Beiträgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor allem aus Milliarden-Zuschüssen besteht. Weder die Renditeerwartung (und damit die Renten) wird wesentlich realistischer noch die künftige Aufsicht wird debattiert. Wer für die BVK Optimist bleibt, bleibt auch Spekulant.
Jahr |
Nettorendite |
Deckungsgrad |
2000 |
-1,85% |
118,2% |
2001 |
-7,15% |
104,2% |
2002 |
-11,94% |
88,1% |
2003 |
7,10% |
90,8% |
2004 |
3,97% |
91,4% |
2005 |
10,61% |
91,7% |
2006 |
7,34% |
101,4% |
2007 |
2,90% |
100,7% |
2008 |
-15,56% |
81,0% |
2009 |
11,17% |
87,3% |
2010 |
2,15% |
86,5% |
2011 |
-0,70% |
83,4% |
BVK: Aktivversicherte: 78’130, Rentenbeziehende: 29’261, angeschlossene Arbeitgeber 530
(per 31. Dezember 2011)