Die UNO hat beim grössten Völkermord seit dem Zweiten Weltkrieg zugesehen. Einzelne Mitgliedstaaten der UNO, beispielsweise Frankreich, haben sich als „Henkersknechte“ schuldig gemacht.
Beginnend am 6. April 1994 wurden in Ruanda innerhalb von 100 Tagen 800’000 Menschen (achthunderttausend Menschen, jeder zehnte Einwohner) ermordet. Das Massaker war geplant, nicht Produkt eines wilden Krieges. Die Partei der „Hutu-Power“ mobilisierte die Hutu-Bevölkerung dazu, jeden einzelnen der Tutsi-Minderheit zu töten, Männer, Frauen, Kinder. Im Radio wurde öffentlich – bereits Monate vor dem Morden – zur „Vernichtung der Schaben“ aufgerufen. Wer seine Mörder bezahlte, kam vielleicht mit der Erschiessung davon, anstatt mit der Machete zerschnitten zu werden. Vor dieser Zeit hatten die Völker recht gut zusammen gelebt.
Das Morden hörte nicht dank dem Eingreifen der vor Ort stationierten UNO-Truppen auf. Diese erhielten kein Mandat, durften ihre Waffen nicht einsetzen. Frankreich sperrte sich gegen einen Einsatz und vertrat die Haltung der Hutu-Power-Regierung, man solle die inneren Angelegenheiten Ruandas dem Land selber überlassen. Allerdings: Gleichzeitig wurden aus Frankreich noch während dem Völkermord Waffen nach Ruanda geliefert. Pikantes Detail: Waffenhändler Jean-Christophe Mitterrand, Sohn des damaligen Präsidenten, war zeitweilig Kommissar für afrikanische Angelegenheiten im französischen Aussenministerium. Ruanda war vor 1994 Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungshilfe – es wäre zu untersuchen, welche Auswirkungen diese Tatsache auf die Geschehnisse nach 1994 hatte.
Von Uganda her marschierte während dem Völkermord eine Armee aus vertriebenen Tutsi ein und siegte. Nun flohen die Mörder. Vor allem in der demokratischen Rebublik Kongo (vormals Zaire), entstanden riesige Hutu-Flüchtlingslager, einzelne mehrere 100’000 Menschen gross. Die Bilder davon gingen in den News um die Welt. Wir waren schockiert, Hilfsaktionen wurden ausgelöst, Organisationen gingen vor Ort. Der Völkermord vom Frühling war höchstens noch Gerücht.
Es ist Illusion zu glauben, derart riesige Flüchtlingslager würden von internationalen Organisationen kontrolliert. Von diesen kam zwar die Nahrung, Zelte und ärztliche Versorgung – es kam das Dach, unter dem sich die Hutu-Power neu organisierte. Mitleid trübte den Blick für die Realität der Gewalt. Einige Lager waren Basis für Mord- und Raubzüge, auch über die Landesgrenze hinweg. In einem Lager wurde durch Tutsi-Soldaten unter Aufsicht der UNO versucht, die Mörder von den übrigen ihres Volkes zu trennen. Das Unterfangen scheiterte.
Die Regierung in Ruanda lud die Hutu ein, nach Hause zu kehren. Sie wollte verhältnismässig „saubere“ Gerichtsverfahren durchführen, nur den Anführern der Völkermörder drohte die Todesstrafe, nicht den Mitläufern. Racheakte der Tutsi wurden genau so hart bestraft, wie die Völkermörder selber. Doch es fehlt an Richtern, Anwälten, juristischer Erfahrung und Gefängnissen (hier wäre internationale Hilfe sinnvoll gewesen). Zudem begannen einzelne Gruppen von ehemaligen „Hutu-Power“ wieder zu morden, duzende Zeugen umzubringen. Ruanda hat eine traumatisierte Bevölkerung. Die Meisten sind entweder Opfer oder Täter und wer bis heute überlebt hat, versteht nicht wieso.
UNO als Henkersknecht
Die UNO war vor Ort, sie hat alles zugelassen. Die Hutu-Propaganda wetterleuchtete Monate vor dem Völkermord. Zeit für internationale Aufmerksamkeit hätte es genügend gegeben. Beispiel eines erschütternden Geschehnisses während dem Völkermord: Mehrere hundert Tutsi wurden von UNO-Truppen an einen vermeintlich sicheren Ort eskortiert (eine Kirche). Diese Kirche wurde später von den Hutu-Power, die sich um unbewaffnete internationale Truppen einen Deut scherten, überfallen und alle Tutsi getötet. Die Uno-Soldaten müssen zuschauen. Sie erhalten vom Hauptquartier in New York die Anweisung, Photoapparate zu benützen, die Greuel festzuhalten und so die Mörder abzuschrecken. Bitter enttäuscht demissioniert der belgische Kommandant der Blauhelme.
Mehrfach ausgezeichnetes Buch
Ein sensibler Bericht aus Ruanda mit vielen vom Autor verifizierten Zeugenaussagen ist im mehrfach ausgezeichneten Buch von Philip Gourevitch „Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden“ erschienen. Gourevitch berichtet für die renomierten Zeitschriften „New Yorker“ und „Forward“ aus Afrika. Die deutsche Fassung wird vom Berlin-Verlag verlegt. Unbedingt lesenswert.
Matthias Hauser, Hüntwangen