Auch an der Podiumsdiskussion der Jungfreisinnigen (NBT vom 28. Oktober) war ersichtlich, dass den UNO-Beitrittsbefürwortern zu wenig bewusst ist, was sich hinter dem Begriff „Neutralität“ verbirgt. Neutralität wird als inkonkreten Mythos dargestellt, der, da Stolperstein auf dem Beitrittsweg, umdefiniert werden muss. Damit verkennen sie die Chancen, die sich einer neutralen Schweiz bei einer entsprechend mutigen Vorwärtsstrategie erst recht nach 1989 bieten würde.
Die Konfliktbewältigung der Weltgemeinschaft hat seit 1989 das Muster, dass vereinte Nationen versuchen einzelne „Schurkenstaaten“ zum Einhalten der Menschenrechte zu zwingen, mit Boykotten oder Gewalt. Der Verhandlungsweg wird nach begonnener „Strafaktion“ umso eher wieder offen stehen, je weniger der „Schurke“ dabei das Gesicht verliert. Dieses verliert er, wenn er im eigenen Land fremde Bedingungen akzeptieren muss oder nach Brüssel oder New York zitiert wird. Folglich muss es – und sei es nur zum Offenhalten dieser Option – einen Staat geben, der weder mit Brüssel noch New York zu innig verbunden ist, der Vermittlungsdienste anbietet, der Sicherheit garantieren kann und über die Infrastruktur verfügt. Welches Land ist hier besser geeignet als die Schweiz?
Humanitäre Organisationen, welche ihre Energie statt für den Selbstschutz für die Hilfe an den Opfern (Zivilisten und Soldaten) beider Konfliktparteien aufbringen wollen, sind auf die Akzeptanz beider Konfliktparteien und deren Bevölkerungen angewiesen. Ein Hilfskonvoi ist ein Stück Neutralität, welches im feindlichen Land die Opfer versorgt.
Statt fahrlässig die Optionen Verhandlungsplatz und Humanität aufzugeben, müssen wir uns in ihnen spezialisieren. Mittel, die wir heute für Buntmützen ausgeben, sollten dem Roten Kreuz oder der Katastrophenhilfe zufliessen, der „Verhandlungsplatz“ muss durch das EDA aktiv immer wieder angeboten werden: Neutralitätsmarketing! Statt diese Aufgabe im Dienste der Menschheit und der Schweiz wahrzunehmen, wird die Eignung dazu von den Verantwortlichen im Lande aus lauter Bequemlichkeit und weil man Angst hat, anders zu sein (= Gruppendruck), wegdefiniert.