Zucker ist Grundbestandteil vieler Lebensmittel. Rund 6’000 Landwirte bauen schweizweit Zuckerrüben an. In den Zuckerfabriken Aarberg und Frauenfeld werden diese zu Kristallzucker, Melasse und Tierfutter verarbeitet. Mitten drin an einem Nachmittag: Die SVP Hüntwangen.
Eindrücklich sind bereits die Zahlen: 10’000 Tonnen Rüben werden täglich zu 1’600 Tonnen Kristallzucker, 320 Tonnen Melasse, 1’400 Tonnen Pressschnitzel und 170 Tonnen Trockenschnitzel verarbeitet, die Schnitzel sind beliebtes Tierfutter. Da die Zuckerrübe zu 80% aus Wasser besteht, ist die Fabrik auch eine Quelle (liefert Wasser ab, benötigt kein Wasser von Aussen) und da die Rüben oft mit Erde verschmutzt sind, gewinnt die Zuckerfabrik auch Landerde, ein Hauptbestandteil der Ricoter-Gartenerden. Die Produktionskampagne findet heuer von Ende September bis Ende Dezember statt: Mit 160 Mitarbeitern wird rund um die Uhr gearbeitet. Auch an Weihnachten.
Landwirtschaftlich tätige Mitglieder der SVP Hüntwangen haben an der letzten Generalversammlung vorgeschlagen, im Herbst einen Ausflug in die Zuckerfabrik zu organisieren. Eine gute Idee! Die zweistündige Führung, am Samstagnachmittag, 11. November, um 14 Uhr, begann mit einem Film. Danach aber gab es Kopfhörer und so war der Guide auf dem lärmigen Gelände immer gut zu hören, auch wenn man etwas abseits der Gruppe noch einen interessanten Blick erhaschen mochte. Erstens gab es solche Blicke zu Hauf (siehe Fotos unten), zweitens war der Guide über jedes Detail sehr gut informiert. Es war keine Sekunde langweilig.
Ricoter-Gartenerde, Kalkofen und Tierfutter
Die Rüben starten in der Zuckerfabrik auf einem grossen Haufen – oder in einem Bahnwagen. Mit Wasserkanonen werden sie in einen Kanal gespült und in die Verarbeitung geschwemmt. Steine (einige Tonnen pro Tag) und Kraut werden abgeschieden, 30 Minuten ziehen sie durch eine Waschtrommel – so wird die Erde gelöst, die sich setzen kann, getrocknet und zu Gartenerde wird. Die Rüben wandern in die Messer, alle acht Stunden müssen Neue eingesetzt werden, so abgenutzt werden diese. Die Rübenschnitzel kommen in den Extraktionsturm, sie werden von unten hochgeschraubt – heisses Wasser fliesst von oben gegen den Rübenstrom. Auf den untersten neuen Schnitzel lastet das ganze Gewicht derjenigen darüber, sie geben dem Wasser ihren Zucker ab.
Wie in einer Zementfabrik so steht auch in der Zuckerfabrik ein grosser Kalkofen. Koks und Jurakalk zusammen werden gebrannt, die Kalksteine dadurch pulverisiert und in Wasser gelöst. Dieser Kalkmilch gelingt es, die Fremdbestandteile im Zuckersaft zu scheiden. Erst dann wird der Zuckersaft Schritt für Schritt verdampft, der Zuckergehalt steigt – bis zur Kristallisation. Es folgen Kreisläufe von Zentrifugen – die immer mehr Kristalle ausscheiden – Kristallzucker.
Erdgasabhängigkeit und internationale Konkurrenz
Pro Tonne Zucker werden benötigt: Rund 130kg Kalkstein (geht als Dünger anschliessend wieder auf die Felder) und etwa die Wärmeenergie, die in 100 Liter Heizöl stecken würde. Wobei in der Schweiz Erdgas verwendet wird – und neu Holzkohle (Aarberg). Die Zuckerproduktion, so der Guide, ist abhängig vom Gasimport. Das, zusammen mit der hohen Wärmerückgewinnung im Prozess (es ist auch eine Fernheizung angeschlossen) und zusammen mit schonender Düngung im Anbau – macht Schweizer Zucker ökologischer als solcher aus der EU, wie eine aktuelle Nachhaltigkeitsstudie der ETH bestätigt. So macht es auch Sinn, dass die deutsche Südzucker, der weltweit grösste Zuckerkonzern, der einzige aussert Frauenfeld, der Bio-Zucker selbst herstellt, einen Teil der deutschen Bio-Rüben in die Schweiz auslagert. Bio-Zucker allerdings ist ein Nischenprodukt, nur drei bis vier Tage läuft die Fabrik dafür. Die Zuckerfabriken Frauenfeld und Aarberg (Schweizer Zucker AG) sind eine Aktiengesellschaft, viele Aktien sind im Besitz von Landwirten und Verbänden. Das Ziel ist die Versorgungssicherheit der Schweiz. Und da gibts zwei Probleme …
Mehr Swissness
… Zuerst einmal die eigene Agrarpolitik: Die EU-Staaten und die Schweiz stoppen die jeweiligen Importbeschränkungen für ausländischen Zucker und die Subventionierung der eigenen Produktion – in der Schweiz werden dadurch Direktzahlungen für Rübenbauern eingestellt und der Zuckerpreis sinkt auf europäisches Marktniveau. Immer mehr Rübenbauern stellen den Anbau ein, es rentiert nicht mehr. Ohne Rüben müssen die Fabriken schliessen. Das zweite Problem blieb an der Führung unerwähnt: Der günstige Palmzucker aus Asien wird mittelfristig den europäischen Zuckermarkt durcheinanderwirbeln und da bleibt ein Riese wie Südzucker natürlich im Vorteil. Was helfen würde wäre etwas Swissness: Bekenntnis zur eigenen Produktion. Hoffen wir, dass auch einige andere Parteien die Fabrik besuchen, denn die SVP kennt Swissness bereits.
Organisation: Ueli Spalinger, Peter Merkt / Text und Bilder: Matthias Hauser